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Lernresistenz beim Wikimedia-Vorstand

16 Jul

Ich hätte nie gedacht, das einmal zu schreiben: Ich bin mit dem Verhalten des Vorstandes von Wikimedia Deutschland nicht mehr einverstanden.

Während ich bei aller (meist sehr heftigen) Kritik in der Vergangenheit ihn noch verteidigt habe, und mehr Sachlichkeit, Grundvertrauen und Verständnis angemahnt habe, muss ich meine Einstellung inzwischen revidieren. Offenbar war ich wohl zu naiv und habe den ständigen Beteuerungen, dass man sich um eine verbesserte Kommunikation bemühe, zuviel Glauben geschenkt. Tatsächlich erweist sich der Vorstand als Gremium insgesamt als erstaunlich lernresistent. Ich weiß nicht ob es Unfähigkeit, Absicht oder schlichte Ignoranz ist. Ersteres würde mich noch mehr erschrecken, zweites mag ich einfach nicht glauben, also tendiere ich zu drittem.

Als im Herbst letzten Jahres eine gGmbH als Tochtergesellschaft gegründet wurde, und irgendwie „vergessen“ wurde, dies auch zu kommunizieren, wurde ein Kommunikationsproblem eingeräumt und Besserung gelobt. Da meiner Meinung nach der inhaltliche Fakt – die gGmbG-Gründung – absolut in Ordnung und sinnvoll war, fand ich das nicht allzu tragisch. Dennoch reichte es aus, dass 10% der Vereinsmitglieder eine außerordentliche Mitgliederversammlung für Januar einberiefen. Dort wurde in flammenden Reden, vor allem vom Vereinsvorsitzenden, nochmals ein Kommunikationsdefizit eingestanden und Besserung gelobt. Es folgten hitzige aber konstruktive Debatten, man nahm die Versprechen an und bestätigte den Vorstand beim Misstrauensvotum recht komfortabel. Ich war damit zufrieden, auch ich habe für die Bestätigung gestimmt.

Als im März dann die reguläre Mitgliederversammlung samt Vorstandswahlen anstand, wurden die erneut angetretenen Vorstandsmitglieder ausnahmslos wiedergewählt. Auch hier gab ich diesen meine Stimme, nach der Vorstellung der Pläne für das kommende Jahr war ich überzeugt, dass die Mitglieder in die richtige Richtung gehen. Es wurde erneut gelobt, für eine deutlich verbesserte Kommunikation mit den Mitgliedern zu sorgen. Ein neuer Schriftführer, der beruflich im Pressebereich tätig ist, machte mir Hoffnung auf mehr Transparenz und mehr Informationen aus dem Vorstand.

Das erste Mal enttäuscht wurde ich bereits kurz danach. Eines der Hauptprojekte des Vereins in diesem Jahr ist die Aktion „Wikipedia muss Weltkulturerbe werden“. Nur leider wurde dies auf der MV bei allen vorgestellten Planungen mit keiner Silbe erwähnt. Ich war entsprechend angesäuert ob dieses Affronts gegen die Vereinsmitglieder. Man besaß tatsächlich sogar die Chuzpe, das Vorhaben am Tag nach der MV im kleineren Kreis vorzustellen. Nun kritisiere ich auch hier wieder nicht den Inhalt der Aktion (gleichwohl ich da anderer Meinung bin), sondern die Art und Weise der Nichtkommunikation. Das größte Vorhaben des Vereins nicht bei den Planungen auf der MV vorzustellen empfinde ich schon als gehörig dreist. Aber auch das nahm ich noch einigermaßen gelassen hin und beließ es bei einem Blogpost.

Leider hat sich allerdings auch sonst praktisch nichts an der Kommunikation zwischen Vorstand und Verein gebessert. Die Informationen über die Vorstandssitzungen verdienen diesen Namen nicht. So ist der letzte Eintrag von Anfang Mai, und auf mehr als der Hälfte aller Vorstandssitzungen wurde offenbar nur die Aufnahme neuer Mitglieder beschlossen. Irgendwie mag ich nicht glauben, dass dies das einzige Ergebnis der jeweiligen Sitzungen sein sollte. Falls doch, machte es die Angelegenheit auch nicht besser.

Dass ich erst von dieser Seite erfahren muss, dass es wohl einen Antrag auf Anfechtung der Satzungsänderung gab, verwundert mich dann kaum noch. Auch hierzu: Null Information an die Mitglieder. Wenn ich nach Erhalt des MV-Protokolls nichts weiter höre, gehe ich eigentlich davon aus, dass es keinen Einspruch dagegen gab und es daher ohne Gegenstimme gültig wurde. Auch darauf kann ich mich nun nicht mehr verlassen.

Der aktuelle Höhepunkt der Misskommunikation ist es jedoch, dass es (vermutete) Probleme mit einem von den Mitgliedern per MV-Beschluss eingesetzten Ausschuss gab. Hier wurden die Probleme nicht nur gegenüber den Vereinsmitgliedern und der Community totgeschwiegen, nein, als Krönung des Ganzen wurden noch nicht einmal die betreffenden Ausschussmitglieder kontaktiert. Ergebnis ist eine desaströse Diskussion um ein sehr sinnvolles Projekt, der Rücktritt eines Ausschussmitglieds, und ein generelles Mißtrauen wohl aller Ausschussmitglieder gegenüber dem Vorstand. Statt Kommunikation erfolgten Vertrauensbruch und bisher haltlose Vorwürfe.
Dabei wurden fraglos das Ansehen des Vereins sowie auch teilweise der Wikipedia beschädigt.

Nun ist mir natürlich klar, dass der Vorstand keine homogene Masse ist sondern aus 10 Mitgliedern mit teilweise recht differierenden Ansichten besteht. Doch wie sind diese unterschiedlichen Ansichten, wo kann man diese erfahren? Solange die Vorstandsmitglieder sich in Schweigen hüllen, kann ich da auch nichts differenziert betrachten. Kommen nur (sehr wenige und teilweise recht nebulöse) Vorstandsstatements, kann ich auch nur den Vorstand insgesamt als solchen beurteilen. Und dieses Urteil ist momentan für mich selbst sehr enttäuschend.

Einen positiven Ausreißer möchte ich allerdings nicht verschweigen: Achim kommuniziert als bisher einziger auch ab und an seine persönliche Meinung. Ansonsten herrscht Schweigen im Walde. Der Schriftführer schreibt nicht (zumindest nichts öffentlich), und auch vom anderen Mitglied im Ressort „Vereinskommunikation“ habe ich seit der Wahl nichts mehr diesbezüglich vernommen.

Da ich im Sinne einer konstruktiven Kritik nicht nur die Probleme benennen, sonder auch Lösungsmöglichkeiten aufzeigen will, folgendes an alle Vorstandsmitglieder: Hört auf, Euch abzuschotten, kommuniziert! Berichtet aus den Vorstandssitzungen! Berichtet aus den einzelnen Ressorts! Der monatliche Bericht aus der Geschäftsstelle macht es vor. Es muss auch nicht gleich monatliche Berichte geben, aber fangt endlich an, etwas über Eure Arbeit mitzuteilen! Ansonsten gibt es auf der nächsten MV wieder die Frage, was Ihr eigentlich so im Einzelnen überhaupt gemacht habt.
Wenn Ihr Probleme seht, teilt diese mit. Es gibt dafür extra einen internen Mitglieder-Bereich im Forum, wo Ihr unter Ausschluss der Öffentlichkeit diese ansprechen könnt. Die Vereinsmitglieder sind nicht so unmündig, wie Ihr scheinbar glaubt. Man kann diesen auch mal die Konfliktpotentiale, die Ihr seht, zumuten.

 
7 Kommentare

Verfasst von - 2011/07/16 in Wikimedia

 

7 Antworten zu “Lernresistenz beim Wikimedia-Vorstand

  1. Felix Stember

    2011/07/16 at 20:15

    Ich habe aus diesem Kommunikationsdesaster die Konsequenz gezogen und meinen Austritt zum Jahresende aus dem Verein erklärt. Ist vielleicht wirklich das Beste, der Vorstand setzt seinen Verein ab und sucht sich einen neuen.

     
  2. Frank Schubert

    2011/07/16 at 20:52

    Auf Zickenkriege inner- und ausserhalb des Vorstands von WMD kann ich getrost verzichten.
    Denn mit denen muß man rechnen wenn sich die einzelnen Vorstandsmitglieder um jeden Preis mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit kontinuirlich nach aussen darstellen müßten.

    Etwas anderes wäre es, wenn sich der Verein einen „Ghostwriter“ (das hat nichts mit Pressearbeit zu tun) einstellt, bzw. beschäftigt. Dem gibt man dann entsprechende Notizen in die Hand, der macht darauf hin einen entsprechenden Entwurf für die entsprechende Vorstandsmitteilung. Und nachdem die einzelnen Vorstandmitglieder ihre entsprechenden Änderungswünschen geht der dann eben raus.

     
  3. mazbln

    2011/07/16 at 21:00

    Hmm, nach 20 Jahren Erfahrungen mit deutschen Vereinen (die aus meiner Sicht alle das „Gute“ wollen) und deren Vorständen, in denen ich teilweise selber Mitglied war, würde ich den Widerspruch Vorstand/Vereinsaktivisten als fast unveränderliche Konstante bezeichnen. Dabei war/ist fast immer die Kommunikation des Vorstands in den Verein ein Thema. Auch selbstherrlich erscheinende Entscheidungen des Vorstands waren da immer vieldiskutierte Aufreger. Und natürlich bieten auch immer die regelmäßig stattfindenden Wahlen die Möglichkeit, sich selbst als Kandidat aufzustellen bzw. einen anderen Vorstand zu wählen (wenn sich denn überhaupt genügend andere Kandidaten finden und gewählt werden). Nur agiert der dann üblicherweise genauso wie der vorherige.

    Ich will damit nicht die hier angebrachten Kritikpunkte kleinreden, nur sehe ich irgendwie keine Lösung innerhalb des bestehenden Systems.

     
  4. Ex Autor

    2011/07/18 at 10:22

    Ich würde gerne mal eine Diskussion anregen, ob die Community denn den Verein so überhaupt braucht, jenseits von Essentials wie techn. Betrieb der WP. Der Verein braucht WP als Daseinsberechtigung und Spendenargument (die ärgerliche Tatsache, dass jedesmal für „Spenden an WP“ geworben wird, die Spender in dem Glauben gelassen werden, wenn das Geld dann aber eingesackt ist, sind es plötzlich zwei gaanz verschiedene Dinge, und es ging den Spendern angeblich um den Verein). Meinem Eindruck nach hat der Verein sich zu einem aufeblähten Wasserkopf entwickelt, mit lauter Arbeitsplätzen, dessen Leistungen in keinem Verhältnis zum Aufwand stehen. Die mangelnde Transparenz und Kette von Skandälchen ist nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Mit dem ursprünglichen „spirit“ von WP (sei mutig, ignoriere alle Regeln, jeder kann mitmachen, usw.) hat das alles sowieso nichts mehr zu tun. Statt die Leser beim jährlichen aalglatt-professionellen „foundraiser“ (igitt) einfach um Textspenden, Zeit, Mitarbeit zu bitten, wirbt man lieber jährlich steigende Summen ein, die dann in bizarre Projekte zur Autorengewinnung gesteckt werden, ein Umweg, der es nicht bringt. Ich würde gerne lesen: Soundsoviel Geld brauchen wir UNBEDINGT (techn. Betrieb von WP), soundsoviel geht an: Gehälter, Rechtsanwälte, „Berater“, Reisen, Cafes und pipapo. Und dann ab der Summe, die unbedingt nötig ist, eine Kappungsgrenze einführen, und sagen: Jetzt haben wir genug, danke, schreibt lieber was. Utopisch, ich weiß, verstehen doch viele „Leitende Angestellte“ WP inzwischen als Businessunternehmen und Karrierebaustein auf ihrem Lebensweg, etc. So war es meiner Meinung nach aber nie gedacht, im Gegenteil. Für mich macht es WP unattraktiv, und hat mich eher von ihr entfremdet. Es ist da eine Art von McKinsey-Stil eingezogen, rhetorisch, inhaltlich, praktisch, der mir völlig fremd ist und mit dem ich nichts zu tun haben will. Meine einmalige (Geld)-Spende tut mir inzwischen leid, wenn ich mir ansehe, was daraus wurde. Meine Texte sind ja noch da, weil sie gut waren, aber es werden keine weiteren folgen.

     
  5. Attila Albert

    2011/07/19 at 14:56

    Lieber Steffen,

    Üblicherweise wählt sich ein Vorstand (als Gremium) einen Sprecher, der die Mehrheitsmeinung nach außen vertritt. Die anderen Personen treten hinter ihr Amt zurück und enthalten sich, von Ausnahmen abgesehen, vom Veröffentlichen ihrer Privatmeinung. Das halte ich für ein sinnvolles Verfahren. Leider hat WMDE keine Regelung dazu getroffen. Ich habe es bisher so gehalten. Angesichts der aktuellen Lage wäre ein privater Blog dazu für mich aber durchaus denkbar.

    Tatsächlich ist die Vorstandsarbeit sehr viel unspektakulärer, als viele das scheinbar glauben – oft geht es tatsächlich im Formalien und Papierkram, besonders in dieser Amtszeit, die den Übergang in eine neue Struktur vorbereiten soll. Wie dringend die nötig ist, zeigt meiner Meinung nach die aktuelle Situation: Der Verein soll Leistungen wie ein Business erbringen (im Umfang von mehreren Millionen Euro), aber im Grunde geführt werden wie ein kleiner Freizeitverein o.ä.

    @ Felix: Dazu kann ich nur sagen: Her mit den Kandidaten! Vielleicht hast Du selber Interesse, das von anderen Geforderte persönlich umzusetzen. Ich freue mich über jede Auswahlmöglichkeit.

    @ Ex Autor: Ich kann mir tatsächlich auch ein Konstrukt vorstellen, in der WMDE ein reiner Förderverein (Spenden entgegennehmen, zur Foundation weiterleiten) wäre und Projekte, so sie denn kommen, der Community überlässt und höchstens co-finanziert.

    Was die ewig beklagte „mangelnde Transparenz“ angeht: Es gibt, glaube ich, keinen Verein, der sich selber derart selbstquälerisch offen demontiert und bloßstellt. An diesen Stellen würde ich mir, wenn ich mir die Streitereien in der WP ansehen, tatsächlich mehr Bedecktheit wünschen.

    Danke auf jeden Fall, Steffen, für Deine Gedanken. Mehr an anderer Stelle (ich muss nur noch überlegen, wo und wie genau).

    Bis dahin: Viele Grüsse,

    Attila

     
  6. Sebastian Moleski

    2011/07/20 at 16:05

    Ein kurzer Kommentar zu den „Informationen zu Vorstandssitzungen“: Was du verlinkt hast, ist eine Übersicht der vom Vorstand tatsächlich gefassten Beschlüsse. Tatsächlich machen Beschlüsse aber nur einen kleinen Bruchteil unserer Arbeit aus, der größte wird mit Beratungen und Diskussionen verbracht, insbesondere auch solcher zukünftiger Beschlüsse. Diese laufenden Themen werden bisher nirgendwo vermerkt, was man vielleicht tatsächlich ändern könnte.

     
  7. Attila Albert

    2011/07/22 at 11:59

    Ich habe hier einige Gedanken notiert: http://1912038.blogspot.com/