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Anatevka – Großes Theater in Gera

Aufgeweckt durch einen Veranstaltungstipp im Thüringen Journal (vielen Dank an Jana Pfeifer!) konnte ich tatsächlich die letzte verfügbare Karte für das Musical Anatevka – auch bekannt als „Der Fiedler auf dem Dach“ – für den vergangenen Samstag ergattern. Zum ersten Mal in Gera, und das gleich bei minus 16°C, dankte ich den Planern erst einmal dafür, das Große Haus des Geraer Theaters direkt neben den Hauptbahnhof gestellt zu haben.

Das Gebäude an sich macht von außen einen angenehmen Eindruck, und auch der Theatersaal im Inneren strahlt eine angemessene Atmosphäre aus. Dass die Veranstaltung ausverkauft war, war mir ja durch den Erwerb der letzten Karte (immerhin die Mitte von Reihe 6) bewusst. Die Menschen in der Eiseskälte vor dem Haus, die nach Karten fragten, erstaunten mich dennoch. Hier scheint deutliches Potential für eine größere Anzahl von Aufführungen zu sein. Den Anteil der Anzugträger im Publikum schätze ich auf über 90% der männlichen Besucher; ein Wert, den man heute kaum noch gewohnt ist.

Der erstaunlich günstige Kartenpreis von 29 € für die „teuerste“ Preiskategorie einer Musicalaufführung ließ mich eigentlich nicht allzuviel erwarten – hier wurde ich jedoch massiv enttäuscht: Die Aufführung war absolut sehens-, hörens- und erlebenswert! Allen voran ein großartiger Peter Prautsch als Milchmann Tevje, der völlig verdient am Ende der Aufführung frenetisch bejubelt wurde. Seine inneren Monologe bzw. Zwiegespräche mit Gott waren von großer schauspielerischer Leistung, selbst die Gesangsdarbietungen überzeugten. Aber auch das restliche Ensemble war sehenswert, egal ob es sich um die Schauspieler oder die Tänzer der russischen Stücke handelt.

Das Stück ist durch den Religions- und Gesellschaftskonflikt (arrangierte Ehen, Tradition vs. Moderne, Beziehungen zwischen verschiedenen Religionen) heute noch genau so aktuell wie zur Zeit seiner Entstehung. Dennoch haben Regie, Bühnenbild und Kostüm die Inszenierung nicht „zwanghaft modernisiert“, sondern auf sehr wohltuende Art und Weise in ihrem ursprünglichen Kontext belassen und hervorragend umgesetzt. Danke für dieses großartige Musicalerlebnis!
Das steht leider im krassen Gegensatz zu so manchem Profilierungswahn an anderen Häusern, wo man kaum die Möglichkeit hat, überhaupt noch eine werkgetreue Aufführung zu finden. Speziell für das Theater Erfurt würde ich mir den Willen zu solchen Aufführungen wünschen. Dort habe ich eher den Eindruck, die Bühnenbildner sind seit Jahren im Urlaub, und der Intendant möchte mit jeder Premiere das Theater neu erfinden. So musste man in den vergangenen Jahren hier leider einiges ertragen: Zum Beispiel ein Prinz Tamino in der „Zauberflöte“, welcher mit kurzen Hosen und Handy am Ohr mit dem Fahrrad auf die Bühne fährt, um eine groteske Papierschlange zu erlegen. Aktuell wird gar „Der Freischütz“ von Dominique Horwitz bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet.

Ich könnte mir gut vorstellen, auch zukünftig den Weg nach Gera oder Altenburg einzuschlagen (beide Orte gehören zur „Theater und Philharmonie Thüringen GmbH“). Vermutlich das nächste Mal aber eher mit dem Auto, hier noch das wohl unvermeidliche „Bahn-Bashing“ zum Abschluss: Die Verbindung ist spät abends grottenschlecht, der Geraer Bahnhof bereits kurz nach 22 Uhr völlig tot, der Weimarer selbsternannte „Kulturbahnhof“ gar ab 23 Uhr völlig abgeschlossen (!), und das angepriesene Erfurter Nachtnetz „ERNA“ der EVAG ab 1 Uhr nachts nicht mehr existent. Und das am Wochenende vom Samstag zu Sonntag, einem Termin also, zu dem tatsächlich Menschen in der Stadt unterwegs sind.

Für Interessierte: Anatevka auf den Seiten des Theater Gera mit Terminen von März bis Juni

 
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Verfasst von - 2012/02/13 in Guldur